10.01.2022
Neues Jahr, alte Sorgen? Zeit für Entscheidungen!
Prof. Dr. Henning Vöpel
Prof. Dr. Henning Vöpel, cep | Centrum für Europäische Politik: Das Magazin „The Atlantic“ schrieb zu der Frage, was denn zum Jahreswechsel 21/22 anders sei als 20/21: "Dieses Mal hat kaum jemand mehr die Hoffnung, dass das nächste Jahr besser sein wird." Aber ist es nicht genau diese Hoffnung, die uns weitermachen lässt – mit Omikron als möglichem Anfang vom Ende der Pandemie? „Und so gingen wir wieder hinaus, um die Sterne zu sehen“ („e quindi uscimmo a riveder le stelle“). Dieser ja Zuversicht und Resilienz ausdrückende Satz steht in Dantes berühmter „Göttlicher Komödie“ am Ende des „Inferno“. In diesem Sinne werden wir nach der Pandemie irgendwann alle wieder hinausgehen, um die Sterne zu sehen und hoffentlich durch diese Erfahrung als Mensch und Gesellschaft nicht geschwächt und gespalten, sondern gestärkt und vereint aus ihr hervorzugehen. Jenseits der Pandemie bleibt die politische Weltlage angespannt: der Blick geht nach Russland, nach China und in die USA, wo Joe Biden ein womöglich entscheidendes Jahr seiner Präsidentschaft bevorsteht. Der erwachende Riese China, der wankende Riese USA und der schlafende Riese Europa? Europa steht vor einem richtungsweisenden Jahr. Deutschland hat den G7-Vorsitz, Frankreich die EU-Ratspräsidentschaft. Wichtige Themen stehen an: von der grünen Taxomie über die digitalen Grundsätze bis hin zu den Fiskalregeln. Als Vorstand der Stiftung Ordnungspolitik und Direktor des Centrums für Europäische Politik möchte ich mit dem „Berliner Ordnungsruf“ auf Ordnungen hinweisen, die bei allem, was Politik entscheidet, eine große Bedeutung haben, denn sie bilden den Rahmen und das Fundament. Fundamente sind brüchig geworden, Rahmen haben sich verschoben - wir müssen also auch über neue Ordnungen nachdenken. Wir leben in bewegten politischen Zeiten. Die neue Bundesregierung verspricht Aufbruch und Fortschritt. Fortschritt aber liegt immer im Unbekannten. Jeder Aufbruch ist daher immer auch eine Expedition. Wohin also und womit? Die großen Vorhaben werden schnell Interessens- und Verteilungskonflikte heraufbeschwören, sie stoßen auf Widerstände und erzeugen Widersprüche. Große Ziele erfordern letztlich viel politischen Pragmatismus. Das ist bei einer Expedition nicht anders: Wer ans Ziel kommen will, muss auf dem Weg dorthin handlungsfähig bleiben. Und einen zuverlässigen Kompass besitzen. Gerade jetzt, vor dem Hintergrund großer Transformationsprozesse und geopolitischer Verschiebungen, ist es wichtig, in Ordnungen zu denken. Beim "TEEC five" am 3. Dezember letzten Jahres habe ich dies hier im The Early Editors Club näher ausgeführt: https://www.early-editors.de/teecfive.php?e=188-1638523086 Der Berliner Ordnungsruf wirft bei jedem Thema zwei Fragen auf: Inwieweit stellt sich die „Ordnungsfrage“ und wie kann die „Europa-Perspektive“ dazu aussehen? Denn letztlich geht es bei der Zukunftsgestaltung der nächsten Jahre – ob in der Klima- und Energie-, der Digital-, der Fiskal- oder der Sicherheitspolitik – um nicht weniger als eine europäische Ordnungspolitik, um eine uns verbindende Idee von Werten und Fortschritt. Die Ordnungsfrage Warum sind Ordnungen wichtig? Eine gute Ordnung erlaubt viel Unordnung. Wer in Ordnungen denkt, liebt eigentlich die Unordnung. Die großen Umbrüche unserer Zeit erfordern genau dies: einerseits die Werte, die uns wichtig sind, zu schützen und zu bewahren: den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die individuelle Freiheit, die intergenerative Gerechtigkeit –, und andererseits den Fortschritt, den wir brauchen, zu ermöglichen und zu befördern: die Bewahrung unserer Lebensgrundlagen, den Sprung ins digitale Zeitalter, die Bewältigung des demografischen Wandels. Neue Paradigmen und Narrative entstehen gerade, angetrieben von den großen Umbrüchen, aber auch der Pandemie. Auch das Autoritäre und das Populistische kehren zurück, der Lobbyismus und der Interventionismus. Wenn es oberflächlich zu Verwerfungen kommt, sind die Ordnungen in Bewegung geraten. Sind sie noch in der Lage, die neuen Phänomene zu verarbeiten, brauchen wir gar neue Ordnungen? Wir werden in den nächsten Jahren sehr viele harte Zielkonflikte mit wirtschaftlichen und sozialen Folgen austragen müssen. Umso wichtiger wird es sein, in diesem Sinne „Ordnung zu halten“. Die Europa-Perspektive Warum Europa? Auf welche Frage ist Europa die Antwort? Die geopolitische Neuordnung löst einen Systemwettbewerb Europas vor allem mit Russland und China aus, deren Einfluss im Osten Europas wächst, aber auch mit den USA, die ihre Interessen auch unter Biden nicht mehr von denen Europas abhängig machen werden. Europa ist nach außen in seiner strategischen Souveränität nicht führungsstark genug, und nach innen gefährden neo-nationalistische und autoritäre Tendenzen in vielen Mitgliedsländern die Einheit Europas. Und doch kann Europa in diesen Zeiten der Neuordnung und Machtverschiebungen den Unterschied machen, denn es macht die Würde des Einzelnen zum Ausgangspunkt von Politik und garantiert die Freiheit und die Vielfalt in Kultur und Wissenschaft. Dies ist Common Ground, auf dem Europa steht. Wenn es nach innen stark und nach außen souverän bleibt, dann kann Europa die Antwort sein – nämlich auf die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen. >> Kontakt >> Webseite Zum aktuellen Club-Impuls |
>> Ich bin kein Mitglied und bitte um einen Testzugang |
||
Deutscher Journalistenpreis Kennedyallee 93 60596 Frankfurt/Main Kurator: Volker Northoff Telefon +49 (0)69 40 89 80-00 Telefax +49 (0)69 40 89 80-10 info@djp.de Impressum Datenschutzerklärung |
|||