20.06.2022
Eurokrise: It's politics, stupid
Dr. Cyrus de la Rubia
Dr. Cyrus de la Rubia, Hamburg Commercial Bank: Ob es zu einer Eurokrise kommt oder nicht, hängt in erster Linie von politischen Entscheidungen ab, die auf der geldpolitischen und/oder der fiskalischen Ebene in den nächsten Wochen getroffen werden müssen. Die Spreads der italienischen Anleihen sind in den vergangenen Wochen und insbesondere nach der letzten EZB-Sitzung massiv gestiegen und dies hat die Befürchtung geweckt, es könne zu einer neuen Eurokrise wie im Jahr 2011/2012 kommen. Damals stiegen die Risikoprämien zehnjähriger italienischer Anleiherenditen (gemessen als Differenz zu den deutschen Bunds mit gleicher Laufzeit) auf über 7 Prozentpunkte. So weit ist man noch nicht, aber so weit sollte man es auch nicht kommen lassen. Die EZB spricht in diesem Zusammenhang von einer unerwünschten Fragmentierung der Märkte, wodurch geldpolitische Impulse nicht mehr dort ankommen, wo sie hingelangen sollen. Der „Transmissionsmechanismus“ sei gestört und deswegen müsse eingegriffen werden. Ordnungspolitik versus Pragmatismus Ob die EZB eingreifen sollte, ist eine grundsätzliche Frage. Auf der einen Seite stehen die ordnungspolitisch verankerten Zentralbanker aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden, auf der anderen Seite Notenbanker aus Italien, Frankreich und Spanien, die eine etwas pragmatischere Haltung zu der Frage annehmen, ob die EZB als Käufer letzter Instanz fungieren darf. Die Faktenlage Schauen wir zunächst auf die Fakten. Italien ist absolut gesehen das am höchsten verschuldete Euroland mit einer öffentlichen Verschuldung von 155 % des BIP. In diesem Jahr werden rund 200 Mrd. Euro an Staatsanleihen fällig, im nächsten Jahr müssen etwa 310 Mrd. Euro zurückgezahlt werden. Außerdem nimmt der Staat in diesem Jahr neue Schulden im Volumen von etwa 100 Mrd. Euro auf, im nächsten Jahr ist mit einem Fehlbetrag von rund 60 Mrd. Euro zu rechnen. All das muss finanziert werden, während die EZB sich anschickt, zum 1. Juli 2022 netto keine weitere Euro-Anleihen mehr zu kaufen. Die Argumente der Gegner Diejenigen, die sich gegen eine Intervention der EZB auf dem Anleihemarkt zugunsten von Italien und anderen Peripherieländern positionieren, argumentieren gerne mit der Gefahr des sogenannten Moral Hazard: Wenn bei jeder Gelegenheit, bei der Italien in Schwierigkeiten gerät, die EZB dem Land aus der Patsche hilft, gibt es keinen Anreiz für Italien, Reformen durchzuführen. Weiter würden zusätzliche Staatsanleihekäufe, die man ja eigentlich beenden wollte, bedeuten, dass erneut inflationstreibende Liquidität in die Märkte gepumpt würde. Das Ziel der Senkung der Inflation würde dadurch konterkariert. Diese Länder plädieren dafür, dass der existierende ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) genutzt wird. Dieser ist vor zehn Jahren hervorgegangen aus dem EFSF (European Financial Stability Facility), mit dessen Hilfe Irland, Portugal, Griechenland, Spanien und Zypern gegen Auflagen unterstützt wurden. Da es sich hier um ein fiskalisches Instrument handelt und das Geld nur gegen die Einhaltung von wirtschaftspolitischen Bedingungen ausgezahlt wurde, wird dies als das Mittel der Wahl gesehen, um Moral Hazard zu vermeiden. Komplementär dazu könnte die EZB auch das ebenfalls 2012 geschaffene OMT-Programm aktivieren. Der damalige EZB-Präsident Mario Draghi hatte das Outright Monetary Transactions-Programm geschaffen, nachdem er zuvor versprochen hatte, „whatever it takes“ zu machen, um den Euro zu retten. Beim OMT kann die EZB unbegrenzt Anleihen eines Landes kaufen, wenn das Land sich auszuhandelnden wirtschaftspolitischen Bedingungen unterwirft. Last der Vergangenheit Wenn es doch so viele Instrumente gibt, warum weiten sich die italienischen Spreads gerade so stark aus? Das Problem ist, dass die Bedingungen, denen sich die Länder unterworfen haben, die Rettungsmittel erhalten haben, nicht immer klug ausgestaltet waren. Insbesondere in Griechenland haben die Sparmaßnahmen in der Eurokrise die Rezession unnötig vertieft, so dass das BIP zeitweise 25 %! niedriger lag als vor dem Ausbruch der Eurokrise. Die Akzeptanz der so genannten Troika, bestehend aus EU-Kommission, EZB und Internationalen Währungsfonds war in der Bevölkerung aller betroffener Länder extrem niedrig, so dass die Bereitschaft, Geld gegen Bedingungen anzunehmen vielen Regierungen als politischer Selbstmord gilt. Es gibt Anti-Fragmentierungsinstrumente Wie kann der Knoten also gelöst werden? Die EZB hat Mitte Juni angekündigt, dass sie die Entwicklung von Anti-Fragmentierungsinstrumenten beschleunigen werde. Die relativ dünne Presseerklärung dazu ist vor allem Zeugnis der offensichtlichen Uneinigkeit innerhalb des EZB-Rats. Während die EZB-Präsidentin Lagarde in den vergangenen Wochen immer wieder auf die Flexibilität des PEPP-Programms hingewiesen hat, dürfte diese Flexibilität im Zweifel nicht reichen, um gegebenenfalls die Explosion der Risikoprämien von Italien und anderer südeuropäischer Staaten zu verhindern. Da im Rahmen des PEPP-Programms ab dem 1. Juli nur fällige Anleihen reinvestiert werden können, hat die EZB grundsätzlich die Möglichkeit, beispielsweise mit den Mitteln, die aus fälligen deutschen Anleihen frei werden, italienische Anleihen zu kaufen. Bei monatlichen Fälligkeiten von schätzungsweise knapp 20 Mrd. Euro scheinen die Mittel begrenzt zu sein, vergleicht man dies mit den 510 Mrd. Euro an italienischen Anleihen, die bis Ende 2023 ihr Laufzeitende erreicht haben werden. In der Diskussion ist daher – so Zeitungsgerüchte – die PEPP-Fälligkeiten der nächsten zwölf Monate vorziehen zu dürfen und somit ein Munitionslager von über 200 Mrd. Euro zu schaffen. Vermutlich würde diese nach Trickserei anmutende Idee bei den Nordländern auf verstärkten Widerstand stoßen. Sauberer wäre es da, ein neues Programm zu definieren, dass aktiviert würde, wenn eine Fragmentierung der Finanzmärkte festgestellt würde. Ist das Volumen dieses Programms ausreichend hoch, beispielsweise 1 Billion Euro, wäre alleine seine Ankündigung vermutlich ausreichend, um die Märkte zu beruhigen, so dass dieses Schutzschild gar nicht angewendet werden müsste. Den Befürchtungen, dass im Fall der Fälle auf diese Weise die Geldmenge wieder steigen und die Inflation angeheizt würde, kann man leicht begegnen, in dem man die Maßnahme gegebenenfalls mit Hilfe von umgekehrten Repo-Geschäften (die Zentralbank leiht sich in diesem Fall Zentralbankgeld von den Banken) sterilisiert. Dennoch: Die politische Durchsetzbarkeit ist sicherlich auch hier nicht einfach. Fiskalisch könnte man natürlich auch auf die Idee der Eurobonds zurückgreifen. Auch hier wird man aus Deutschland das berühmte „Nein“ hören. It’s politics, stupid Was in jedem Fall klar wird: Ob die Eurozone in eine erneute Krise gerät oder nicht, hängt in erster Linie von politischen Entscheidungen auf der Ebene der EU bzw. der Eurozone ab und weniger von der wirtschaftlichen Lage in Italien bzw. den Reformfortschritten der Regierung Draghi ab. Tatsächlich steht Italien wirtschaftlich relativ gut da und bietet so gesehen keinen Anlass zu neuen Bonitätssorgen. Bei alledem sollte man vor Augen haben, dass in den USA, Japan und Großbritannien eine Insolvenz des Staates nie ernsthaft in Erwägung gezogen wird, weswegen die Renditen dort nur die Konjunkturlage inklusive der Inflationsaussichten widerspiegeln, während Bonitätsrisiken keine Rolle spielen. Dahin muss die Eurozone kommen, wenn sie an den Kapitalmärkten mit den USA auf Augenhöhe konkurrieren will. Dafür bedarf es politisch mutiger Entscheidungen. >> Kontakt Zum aktuellen Club-Impuls |
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