29.08.2022
Nichts ersetzt gute Wirtschaftspolitik
Prof. Dr. Henning Vöpel
In Krisen zeigt sich nicht nur der Charakter, wie einst Helmut Schmidt sagte, sondern auch die Bedeutung guter Wirtschaftspolitik. An guter Absicht mangelt es der „Fortschrittskoalition“ in Berlin gewiss nicht. Die steht zur Genüge im Koalitionsvertrag. Die praktische Wirtschaftspolitik allerdings grenzt – von Tankrabatt über Mehrwertsteuersenkung bis Gasumlage – an Murks. Gewiss, in Krisenzeiten lässt sich Wirtschaftspolitik nie allein nach reiner Lehre machen. Man kann Instrumente nicht nur danach bemessen, wie effizient sie sind. Ihre Wirkungen müssen sozial ausgewogen sein und gezielt jenen helfen, die von Krisen besonders und unverschuldet betroffen sind. Fast alle Maßnahmen jedoch, die jüngst zur Abfederung der heftigen Energiepreisschocks ergriffen wurden oder noch geplant sind, sind weder kosteneffizient noch sozial ausgewogen. Im Gegenteil: Sie sind teuer, zu breit gestreut und kaum wirksam. Früher – in einer Zeit ohne Inflation – konnte für alles und jeden die Bazooka herausgeholt werden. Diese Zeiten sind vorbei. Da wo Buchwerte und Erwartungen noch mit viel Geld – aus den großzügigen Fiskalpaketen oder den Aufkaufprogrammen der Geldpolitik – gestützt werden konnten, werden heute unabdingbar reale Einschnitte spürbar. Volkswirtschaftlich betrachtet, muss irgendjemand die höheren importierten Kosten tragen. Die Politik kann wahlweise jeden, aber nicht alle gleichzeitig entlasten. Der feine, aber bedeutende Unterschied in der Logik zwischen „jemand“ und „alle“ wird in der Politik nicht gut verstanden. In der Wirtschaftspolitik ist dieser Fehlschluss als Aggregationsproblem bekannt. Rhetorisch führt das zu der Schizophrenie, dass die Politik die Gesellschaft auf harte Zeiten vorbereitet, und gleichzeitig verspricht, niemand werde es merken. Auch im Rennen schlechter Wirtschaftspolitik weit vorne: Das fatale Missverständnis über die Funktionsweise wettbewerblicher Märkte. „Pro business“ ist nicht identisch mit „pro market“; gute Wirtschaftspolitik zielt auf funktionierende Märkte, nicht aber auf gute Geschäfte ab. Insoweit ist eine Übergewinnsteuer als Alternative zur Gasumlage trotz aller Schwierigkeiten diskussionswürdig, dann nämlich, wenn die Energieversorger eben jene ökonomischen Renten abkassieren, die durch die Angebotsverknappung entstehen und durch staatliche Preissubventionen sogar noch künstlich erhöht werden. Weitaus besser aber wäre es gewesen, die Politik hätte den Energiemarkt schon vorher deutlich wettbewerblicher gestaltet. In Krisen fallen der Politik die Versäumnisse der Vergangenheit dann doppelt auf die Füße. Und es gab in den letzten Jahren viele solcher wirtschaftspolitischen Versäumnisse. Ordnungspolitik: Sonderregeln sind schlechte Regeln Wenn Robert Habeck, dem man unterstellen darf, sehr wohl an Ordnungsfragen interessiert zu sein, an die Vernunft und die Einsicht von Unternehmen und Haushalten appelliert, dann hat er zunächst einen guten Punkt: Gute Wirtschaftspolitik funktioniert kaum ohne Anstand und Moral in der Wirtschaft. Aber Appelle können niemals gute Regeln ersetzen, denn – und dafür gibt es reichlich Evidenz – Unternehmen und Menschen reagieren rational auf Anreize. Und das ist nicht etwa schlimm oder verwerflich, sondern ganz im Gegenteil natürlich und sogar hilfreich, weil Anpassungsreaktionen den Schock über die Zeit abmildern. Doch das Problem geht weiter: Es ist fatal, wenn Politik suggeriert, niemand müsse für etwas den Preis zahlen oder die Kosten tragen. Genau hierin lag doch über viele Jahre das Problem. Die wahren Kosten wurden wahlweise in die Zukunft verschoben oder auf andere überwälzt, ob bei billiger Energie und der daraus entstandenen Abhängigkeit, dem Überverbrauch natürlicher Ressourcen und dem dadurch verursachten Umweltproblem oder dem Outsourcing unserer Sicherheit und dem daraus resultierenden Defizit an geopolitischer Souveränität. Wenn sich Wirtschaftspolitik beginnt, von Ordnungspolitik zu lösen, beginnt Klientelpolitik und die Bedienung von Partikularinteressen zuungunsten von Gemeinwohlinteressen. Gute Ordnungen basieren auf wenigen, einfachen und robusten Regeln – und auf der Erwartung, dass sie gelten. Sonder- und Ausnahmeregelungen, die auf Einzelfälle und -interessen abzielen, sind dagegen schlechte Regeln, denn sie unterminieren gute Ordnungen. Das gilt nicht nur für schlechte Regeln, sondern auch für zu viele und zu rigide Regeln – womit wir bei Europa wären. Europa: zu rigide Regeln verbauen innovative Lösungen Es gibt, wer wollte das bestreiten, gute Gründe, das regulatorische Setting von Grund auf anzupassen, um den industriellen Umbau auf eine nachhaltige und digitale Wirtschaft zu beschleunigen. Es ist sogar notwendig, weil jeder Aufschub von Strukturwandel diesen doppelt teuer macht: durch die Subventionierung des Alten und durch die Unterdrückung des Neuen. Doch der Regulierungsansatz, der in der EU gewählt wurde, zielt darauf ab, nicht nur ambitionierte Ziele vorzugeben, sondern den Weg dahin gleich mit. Dabei gilt jedoch: Je ambitionierter das Ziel ist, desto pragmatischer und lösungsoffener muss der Weg sein. Ein gutes Beispiel für die rigide Regulierung der Kommission ist die Ökodesignrichtlinie. Fast alle Produkte sollen in Zukunft so designt werden, dass sie reparierbar und recyclebar sind. Doch die Kommission kennt die Komplexität der Wertschöpfungsketten ebenso wenig wie das technologische Zukunftswissen – und damit auch nicht alle möglichen Zielkonflikte und Lösungen. Anpassung ist ein dynamischer Prozess. Die Transition erfolgt nie durch einen Sprung von einem Zustand in einen anderen, sondern durch viele kleine systemische Schritte, die durch viele innovative Lösungen möglich werden. Sie durch zu kleinteilige und rigide Regeln zu unterdrücken, wäre mit Blick auf die ambitionierten Ziele fatal. Der Ordnungsruf geht dieses Mal an die Koalition in Berlin: In der Krise kommt es mehr denn je auf gute Wirtschaftspolitik an. Gute Wirtschaftspolitik basiert auf den richtigen Zielen, ihr Kern aber sind handwerklich gute und technisch sauber umgesetzte Instrumente. Davon ist die Regierung im Moment weit entfernt. Die denkbar teuerste Umlage ist die, die Menschen auf schlechte Wirtschaftspolitik zahlen. >> Kontakt Zum aktuellen Club-Impuls |
>> Ich bin kein Mitglied und bitte um einen Testzugang |
||
Deutscher Journalistenpreis Kennedyallee 93 60596 Frankfurt/Main Kurator: Volker Northoff Telefon +49 (0)69 40 89 80-00 Telefax +49 (0)69 40 89 80-10 info@djp.de Impressum Datenschutzerklärung |
|||